Wir danken Gisela Nauck, www.positionen.net, für ihr Einverständis der Veröffentlichung des Radiomanuskriptes:

Deutschlandfunk, Musikjournal 16.2.2009

20.05-21.00 Uhr

Eine Audienz mit dem Publikum

Von Gisela Nauck

Redaktion Frank Kämpfer

O-Ton 1 Bill Dietz (Ansage) über Satie (Relache),  29''

… für die Dauer der Pause, sie können damit so rumgehen. Es gibt eine limitierte Auflage davon , ich weiß nicht, ob sie alle eins kriegen und wenn Sie in Paaren oder Gruppen sind, nehmen Sei vielleicht nur eins … Ja und wenn Sie keinen Kopfhörer kriegen können Sie sozusagen das Gegenteil der Arbeit von Peter Ablinger bekommen, das sind Gehörstöpsel, damit verstärken wir vielleicht die visuellen Sinne…

Kommentar

Pause hören, Applaus als Musik, den Hörsinn mobilisieren – etwa durch gegen den Strich gebürstete Veranstaltungspraxis. Peter Ablingers Konzeptstück Weiss/Weisslich 36 befolgend wurde man zum akustischen Voayeur der Pause eines Sinfoniekonzerts im Berliner Konzerthaus. Unsere Veranstaltung im Musikklub spiegelte dagegen das zeitgleich stattfindende Konzert im großen Saal mit Kompositionen von Mozart und Mendelssohn, indem es darauf mit Stücken über Mozart und Mendelssohn von Diego Armando Grossmann und Arturas Bumsteinas zeitgenössisch reagierte. Und ebenfalls in der Pause: Erik Saties "Relache", eine musikalische Pause also. Das alles war Bestandteil eines ungewöhnlichen Veranstaltungszyklusses, der mit einer ersten Phase zwischen dem 28. Januar und dem 8. Februar startete. In drei Phasen wird sich dieser - mit weiteren Terminen im Juni und Oktober - über das ganze Jahr spannen. Urheber sind der amerikanische Komponist Bill Dietz - nach Peter Ablinger der künstlerische Leiter des Berliner Ensembles Zwischentöne - und das Ensemble selbst. Sie haben sich nichts weniger vorgenommen, als auf eine der zur Zeit wohl zentralsten musikkulturellen Fragestellungen Antworten zu versuchen. Nämlich auf die Frage nach der Vermittlung neuer Musik. Geantwortet wird darauf durch eigenwillige musikalische Programme – ohne Förderung durch das Netzwerk Neue Musik. Gemeinsam ist diesen Programmen, dass sie das Publikum, das Hören und die Aufführungspraxis selbst thematisieren. "Audienze mit dem Publikum" lautet denn auch sein Titel. Austragungsorte sind heutzutage typische Aufführungsstätten für neue Musik: das Konzerthaus, die Galerie, ein multifunktionaler Veranstaltungsort und ein typischer "Off-Space" für neue Kunst und Musik. Die Programme wollen letztlich eine der brisantesten Fragen stellen, wenn es um Vermittlung geht: Was hat die neue Musik eigentlich zu vermitteln? Und: Dürfen wir immer so weitermachen wie bisher? Oder müssen wir auf dieses "Was" nicht auch entsprechend reagieren? Bill Dietz zur 1. Phase von "Audienz mit dem Publikum":

O-Ton 2, 31''

Wir fragen uns, inwiefern die historische Aufführungsform immer noch zuspüren ist  in der aktuellen Praxis der neuen Musik und was das vielleicht für Konsequenzen hätte. Dass da so eine Konzeption aus dem 19. Jahrhundert oder aus dem 18. Jahrhundert von Musikpraxis spüren immer noch irgendwie dahinter bleiben und wie das vielleicht ein aktuelles Publikum abschreckt oder für ein Nicht-neue Musik-Publikum sind diese Sachen vielleicht sehr fremd und wie das die neue Musik und ihr Publikum beeinflusst.

Musik 1,  Erik Satie, Musique d' a meublement, 15'' frei,

Kommentar

Während die Veranstaltung im Musikclub des Konzerthauses die historische Aufführungsform Konzertsaal hinterfragte, lag dem zweiten Abend in der Kunstsammlung Hoffmann drei Tage später das Modell einer Hausmusik mit Bildungsprogramm und geselligem Beisammensein zugrunde, eingeleitet durch Erik Saties berühmte "Musique d' a meublement (Musik weg) In einer ehemaligen Nähmaschinenfabrik in den Sophie-Gips-Höfen in Berlin Mitte hatten die Kunstsammler Rolf und Erika Hoffmann nach der Wende auf mehreren Etagen Räume für ihre Sammlung geschaffen, konzipiert als Einheit von Ausstellungs- und Lebensraum. Im Sinne der Idee der "sozialen Plastik" von Josef Beuys denken sie Kunst und Leben zusammen, mit allen Wagnissen. Erika Hoffmann:

O-Ton 3, 35''

Ich bin abenteuerlich genug, mich auf jedes Experiment einzulassen. Ich bin ja

neugierig und finde es wunderbar, wenn ich immer wieder auch andere Aspekte von Kunst kennenlerne. Und das versprach eben das, was Bill Dietz vorschlug. Und ich bin diesen jungen Musikern wirklich außerordentlich dankbar. Die haben von mir ja nicht gesagt bekommen, spielt da oder spielt da, sondern das sind alles deren Ideen. Und da kommt etwas auf mich zu, was wirklich ein Geschenk ist und es ist wunderbar, dass ich dieses Geschenk nun wieder mit anderen teilen kann.

Musik 2 Michael Parsson, 15''

Kommentar

Dieses Teilen bescherte dem sehr zahlreich erschienen Publikum nichts weniger als einen anregenden Abend mit neuer Kunst und Musik. Eine Entdeckung waren hier die Konzeptstücke vom Mitbegründer des London Scratch-Orchestras Michael Parsson, die das Ensemble Zwischentöne unterschiedlichsten Räumlichkeiten sinnfällig "eingepasst" hatte. (Musik weg). Gar zu nebensächlich wirkte demgegenüber die Kammermusik zum Einschlafen des Sonnenkönigs von Jean-Baptist Lully, während es Erik Saties "Musique d' a meublement" beim Einlass wieder nicht geschafft hatte, das Publikum zum Weghören zu animieren.

Zur seltsamsten Begegnung mit Musik und ihrer Präsentation aber kam es dann bei der dritten Konzertaktion dieser 1. Phase, implantiert der Konferenz "Audio Poverty" vom 6.-8. Februar im Haus der Kulturen der Welt. An verschiedensten Orten dieses weitläufigen Gebäudes wurden an drei Tagen jeweils "3 Situationen für 9 Musiker" zelebriert. Diesen lagen nun – als dritte Aufführungsmöglichkeit - vorkonzertante Musizierpraktiken zugrunde, nämlich ein auf Hören basierendes musikalisches Weitergeben. Grundlage dafür bildete das Konzept Bandrom Haus – Probenraum - des Norwegischen Komponisten Øyvind Trovund, Jahrgang 1976. Hier schienen alle herkömmlichen Musikvorstellungen auf den Kopf gestellt, das Unwesentliche wird Wesentlich, das richtige falsch und das falsche richtig mit dem Resultat einer undomestizierbar erscheinenden Musik. (Musik 3 einblenden). Neu Hören lernen: unvoreingenommen und offenen Sinnes. Was kann uns eine Musik vermitteln, in der es kaum noch Anhaltspunkte gibt wie in dieser? (Musik 3 10'' frei stehen lassen)

(Auf Musik  drauflegen) Gespannt sein darf man auf die nächste Phase am 14. und 15. Juni. Mit einer Videonacht in der Galerie 7Hours Haus 19 sowie mit der Konfrontation von stiller Musik und gestörter Aufführung im Werner-Otto-Saal des Konzerthauses wird dann die historische Avantgarde im Mittelpunkt stehen.

Musik 3, Øyvind Trovund, Bandrom House